Die untreue Frau 1969
Überblick: Der Anwalt Charles, dessen Ehefrau Hélène und ihr Sohn bewohnen eine gepflegte Villa in Versailles. Doch der Schein trügt: Hinter der schönen Fassade regieren Frust und Langeweile. Hélène sucht sich deshalb einen Liebhaber - den jungen Schriftsteller Victor. Charles wittert den Betrug und engagiert einen Privatdetektiv. Er kann seinen Zorn nicht zähmen und nimmt Rache...
Kommentar
»Nichts ist kälter als eine tote Liebe«, verkündet das Fernsehprogramm im Hintergrund, während die liebende Familie, bestehend aus Anwalt Charles (Michel Bouquet), Ehefrau Héléne (Stéphane Audran) und halbwüchsigem Sohn zusammenlebt. Doch der Schein trügt. Charles engagiert einen Privatdetektiv, weil er vermutet, seine Frau habe eine Affäre. Als er den Namen des Nebenbuhlers erfährt, sucht er ihn auf - und setzt damit eine Tragödie in Gang... Der zynische Aspekt von Claude Chabrols »Die untreue Frau« (»La Femme Infidèle«) aus dem Jahr 1968 ist die Tatsache, dass ohne Charles' Eingreifen das häusliche Ehe- und Zusammenleben harmonisch fortgesetzt worden wäre. Mit der Bespitzelung und deren Folgen allerdings ändert sich alles, so nachvollziehbar Charles' Motivation auch ist. Wenn der Film beginnt, ist die Affäre bereits in vollem Gang. Als Zuschauer muss man sehr genau zuhören und hinsehen, ebenso wie Michel Bouquet das tut. Die Affäre selbst spielt für Chabrol keine Rolle, wir sehen sie in nur einer einzigen Szene. Chabrol interessiert sich mehr für den Ehemann, sein Misstrauen, seine Schwäche, die Ungewissheit, die Eifersucht und schließlich die katastrophalen Konsequenzen. Und wieder mal lauert das Verzweifelte, das Böse hinter der Fassade von sehr zivilisierten Menschen. Chabrol zitiert nebenbei vergnüglich Hitchcock, wenn er eine Leiche im See versenkt, die kurz nicht untergehen will. Was wie ein Ehedrama beginnt, wird zum nachtschwarzen Thriller. Viel mehr kann man nicht sagen, ohne wichtige Wendungen der Handlung zu verraten. Der Sohn der Familie versucht den gesamten Film über, ein Puzzlespiel zusammenzusetzen, obwohl ein wichtiges Teil verloren gegangen ist. Auf die gleiche Weise versuchen Héléne und Charles, aus dem Gegenüber schlau zu werden, das Gesamtbild zu verstehen, aber beiden fehlen wichtige Informationen. Chabrols Schauspieler sind wie immer eine Offenbarung. Bouquet trägt den Film mühelos, Stéphane Audran bekommt erst im letzten Drittel den Raum für ihr erstklassiges Spiel. Aus der anfänglichen Konversation zwischen den Eheleuten wird ein stummes Spiel mit Blicken und Gesten. Die Affäre und ihre Folgen verschlägt ihnen die Sprache, dem Zuschauer auch. »Die untreue Frau« gehört zu Chabrols vielschichtigsten und besten Filmen. Adrian Lyne hat 2002 mit Richard Gere und Diane Lane ein Remake unter dem Titel »Untreu« gedreht, das durchaus sehenswert ist, aber völlig andere Schwerpunkte setzt. Die Affäre selbst steht bei Lyne im Mittelpunkt, und die damit verbundene Gelegenheit für ausgiebige Sexszenen, auf die Chabrol hier klugerweise vollkommen verzichtet, weil der Sex für die Geschichte völlig unerheblich ist. Im direkten Vergleich kann aber das Remake dem Original natürlich nicht das Wasser reichen.