Sabrina 1954
Überblick: Sabrina, Tochter des Chauffeurs der wohlhabenden Familie Larrabee, verliebt sich hoffnungslos in deren jüngsten Sohn David, als der Teenager regelmäßig dessen ausgelassenes Partyleben beobachtet. Ihr Vater schickt sie auf eine Schule in Paris, damit sie von ihrem Liebeskummer geheilt wird, doch als sie zurückkehrt und sich in eine unwiderstehliche, elegante junge Frau verwandelt hat, ist es Davids älterer pragmatischer Workaholic-Bruder Linus, der sich Hals über Kopf in sie verliebt …
Kommentar
Seit sie denken kann ist Sabrina Fairchild in David Larrabee verliebt. Doch David ist der Sohn einer überaus reichen und angesehenen Unternehmerfamilie, während sie nur die Tochter des Chauffeurs ist. Hinzukommt, dass David Sabina eher als Inventar denn als begehrenswerte Frau sieht. Damit Sabrina über ihre unglückliche Liebe hinweg kommt, schickt ihr Vater sie nach Paris. Hier soll sie an einer renommierten Schule eine Ausbildung zur Köchin absolvieren. Nach zwei Jahren kommt eine völlig veränderte, erwachsene Sabrina nach Long Island zurück. David ist entzückt und verliebt sich sogleich in die bezaubernde Frau, obwohl er bereits verlobt ist – zum vierten Mal. Davids älterer und immer pflichtbewusster Bruder Linus sieht eine Katastrophe heraufziehen, ist Davids Zukünftige doch die Tochter eines wichtigen Geschäftspartners, mit dem Larrabee gerade einen Millionendeal einfädelt. Kurzerhand beginnt er – der eigentlich mit seiner Arbeit verheiratet ist - Sabrina zu umwerben, um sie von David abzulenken... »Es war einmal ein kleines Mädchen, das auf einem großen Besitz lebte an der Nordküste von Long Island, etwa fünfzig Kilometer von New York entfernt ...« , so beginnt »Sabrina« und die Analogie zum Aschenputtelmärchen wird auch im Laufe des Films gepflegt – allerdings nicht so eindeutig und einzigartig, wie manche darüber geschrieben haben. »Sabrina« ist sicherlich im Vergleich zu sämtlichen anderen Filmen des Meisters am meisten romantisch, ein reizendes, tragisches und doch an vielen Stellen komödiantisch gelungenes Drama, das vor allem anderen vom Ausspielen der starken charakterlichen Differenzen seiner drei Hauptfiguren lebt. Bogart als knallharter, scheinbar gefühlloser Businessman, der gegenüber sich selbst nicht wahrhaben will, Gefühle für Sabrina zu hegen, versus Holden als ausgelassenem, unerwachsenen Playboy, der letztlich unfähig ist, wirkliche Gefühle für einen anderen zu haben, versus Hepburn, die aus Verzweiflung über ihren eigenen träumerischen, fast kindlichen Romantizismus, den sie für Liebe hält, vor sich selbst und David flieht, um als – heute würde man sagen – emanzipierte Frau zurückzukehren. Kein Wunder übrigens, dass die Hepburn damals eine Zeitlang fast in jeder Ausgabe der Zeitschrift »Vogue« als Sabrina abgebildet wurde. Die Entstehungsgeschichte von Billy Wilders »Sabrina« könnte einen ebenso turbulenten Film abgeben wie »Sabrina« selbst. Samuel Taylor, Drehbuchautor und Verfasser der Bühnenvorlage »Sabrina Fair«, stieg aus dem Projekt aus, weil er die Änderungen von Wilder nicht akzeptieren wollte. Unter enormem Zeitdruck schrieb Wilder mit Ernest Lehman (»Der unsichtbare Dritte«) weiter, was man dem Film überhaupt nicht anmerkt. Der von Wilder gewünschte Cary Grant lehnte die Rolle des Linus in letzter Minute ab, Bogart und Wilder wiederum konnten sich nach eigenen Aussagen nicht ausstehen (Bogart konnte auch Holden und Hepburn nicht leiden und hätte lieber Ehefrau Lauren Bacall in der Rolle der Sabrina gesehen). Wilder rächte sich für Bogarts Beleidigungen, indem er ihn bis kurz vor Ende der Dreharbeiten im Dunkeln über den Ausgang der Geschichte ließ. Dass Bogart sich unwohl fühlte, merkt man »Sabrina« an, aber es erhöht ironischerweise die Wirkung bzw. macht den Liebeskonflikt des älteren Linus glaubwürdiger. Egal, der Film gehört ohnehin Audrey Hepburn. Sie ist vom ersten Moment an, wenn sie vom Baum aus heimlich die elegante Party der Familie beobachtet, anbetungswürdig liebreizend und schön. Ihre Chemie mit Holden ist deutlich stimmiger als die mit Bogart, aber auch das passt zum Film. Besonders köstlich agiert Walter Hampden als leicht angetrotteltes Familienoberhaupt, der ewig braucht, um eine Olive aus dem Glas zu bekommen. Wilders Sympathie gehört wie immer den Angestellten (mehr als ein Hauch von Lubitsch). Für Chauffeurs-Papa John Williams ist das Leben wie eine Limousine - es gibt Leute, die sitzen vorne, und die anderen sitzen hinten, mit einer Scheibe dazwischen. Sabrina/Audrey beweist, dass Liebe keine Trennscheiben kennt. Schöne Botschaft, schöner Film. »Sabrina« gehört nicht zu Wilders verrückteren Komödien und lädt eher zum Schmunzeln und Schwärmen ein, aber als altmodisches Märchen mit wunderbaren Schauspielern ist er immer wieder hinreißend. Und so viel besser als das blutleere Remake von 1995. Wer könnte auch Audrey oder Wilder je das Wasser reichen? Wilder selbst sagte einmal, der Unterschied zwischen einer Tragödie und einer Komödie sei: Wenn ein Mann die Straße entlang gehe und stolpere und dann wieder aufstehe, dann würden die Leute lachen, wenn er liegen bliebe, sei es Tragödie. Wilders Filme sind geniale Beispiele dafür, dass es weder reine »Tragödien« noch »reine« Komödien gibt. Beides wäre grässlich oder albern, weil das Leben nie nur tragisch oder nur komisch ist. Genau diese Mischung von Tragischem und Komödiantischem ist fast allen Filmen des Regisseurs anzumerken, mal mehr tragisch, wie hier in »Sabrina«, mal mehr komödiantisch wie in »Some like it hot«, aber nie nur das eine. Fazit: Das Aschenputtel-Märchen »Sabrina« mit Humphrey Bogart als scheinbar knallharter Businessman, William Holden als lebensfrohen Playboy und Audrey Hepburn als »das Mädchern aus der Garage«, läßt bis heute kein Auge trocken.